StoryTeller - Das Online-Magazin von PAPSTAR
"Mehrwegangebotspflicht: Mehrweg ohne Mehrwert?" von Redakteur Jan Paul Stich ist am 6. Februar 2023 auf dem Onlineportal von foodservice (dfv Hotel- und Gastromedien - Deutscher Fachverlag GmbH) erschienen.
Bernd Born - 07.02.2023

PRESSE - foodservice "Lebensmittelverpackungen idealerweise als Einweg, aber eben qualitativ hochwertig!"

Der STORYTELLER-Presseservice: Im Gespräch mit foodservice-Redakteur Jan Paul Stich spricht Nachhaltigkeits-Pionier Professor Michael Braungart über den Nutzen der Mehrwegpflicht, geeignete Kunststoffe und warum Einweg oftmals doch ökologisch klüger sein kann als Mehrweg.

Der studierte Chemiker und Verfahrenstechniker hat in den 80er Jahren den Bereich Chemie bei Greenpeace aufgebaut und geleitet. 1989 bis 1991 war er an der Entwicklung des Cradle-to-Cradle-Konzeptes beteiligt. Seitdem forscht und berät Braungart für ökoeffektive Produkte im Kreislauf, die nicht nur weniger schädlich für Menschen und Natur sind, sondern stattdessen nützlich. Er ist der Gründer und wissenschaftliche Geschäftsführer von Braungart EPEA (Environmental Protection Encouragement Agency), ein internationales Umweltforschungs- und Beratungsinstitut mit Hauptsitz in Hamburg.


 

Wird der Mehrwegbecher die Welt retten?

Nein. Wir haben in Hamburg eine Kupferhütte, deren Produktion alleine verursacht ein Vielfaches der gesamten Hausmüllmenge Europas. Nur diese eine Kupferhütte und wir beschäftigen uns mit Bechern, Strohhalmen und Plastiktüten. Das ist, als würde man den Untergang der Titanic verhindern wollen, indem man statt mit einem Dessertlöffel nun mit einem Esslöffel das Wasser rausschaufelt. Das ist eine Beschäftigungs-Therapie. Das ist sehr traurig, weil man damit die Illusion schafft, es täte sich was. Die wirklich relevanten Fragestellungen werden damit nicht beachtet.

 

Trägt so ein Mehrweg-System überhaupt zu einer Verbesserung der Situation bei?

Es ist sicherlich bewusstseinsbildend. Es führt dazu, dass man sich Gedanken macht. Aber dann müsste man sich auch Gedanken um die Qualität der Umsetzung machen. Da dürfte man dann zum Beispiel kein PVC für Lebensmittel verwenden, da dies die Lebensmittel durch Weichmacher kontaminiert. Es ist ein Irrtum, ein Mehrweg-System automatisch für die bessere Lösung zu halten. Es braucht zwischen 7 und 9 Umläufe eines Mehrweg-Systems, damit es ökologisch besser abschneidet als ein Einweg-System. Die meisten Mehrweg-Systeme leisten das in keinem Fall. Die werden einmal verwendet und kommen dann nie zurück, weil man sie zuhause als Plastikschüsseln nutzt.

 

Es müssen also sieben Gäste hintereinander aus einem Mehrwegbecher getrunken haben, damit er in der Ökobilanz besser abschneidet als sieben Einwegbecher?

Ja, genau. Das wird im Allgemeinen nicht erreicht. Man sollte konzeptionell anders denken. Mehrwegbehälter haben nach der Nutzung oft noch Lebensmittelreste dran. Viele Kunststoffe haben einen Memory-Effekt, nehmen also Farbe oder Geschmack eines Lebensmittels auf. Es muss also auch sehr aufwendig gereinigt werden. Aber umso mehr die Oberfläche aufgekratzt wird, umso mehr Austausch zwischen Kunststoff und Lebensmittel findet statt.

 

Worauf sollte man achten?

Es muss schonend gereinigt werden, nicht mit rauen Bürsten, die die Oberfläche aufkratzen. Am meisten Sorgen machen mir sogenannte Anti-Pilzmittel, die verhindern, dass sich Pilze auf Kunststoff bilden. Die können drastische Effekte auf die Darmflora haben. Man muss genau auf den Reinigungs-Prozess schauen.

 

Gibt es Alternativen zu den aktuellen Systemen?

In Italien oder Ruanda setzt man auf biologisch abbaubare Stoffe. Da können Sie die Verpackung mit dem Lebensmittel entsorgen und dann hat das sogar noch einen Nutzen in der Biogas-Anlage oder so.

 

Also Gabeln aus Holz?

Ja, aber auch moderne Kunststoffe. In Italien gibt es die Firma Novamont, die haben einen stärkebasierten Kunststoff namens Mater-Bi. Eine andere Möglichkeit wären Verpackungen aus Algen. Toll ist auch die Firma Traceless. Anne Lamp entwickelt dort Beschichtungen für Pommesboxen. Die sind Einweg, aber das Papier kann hinterher wieder als Papier zurückgewonnen werden. All diese Dinge erreichen bei uns leider oft nicht den Markt, weil man bei uns keine Qualitäts-Standards setzt. Das Umweltbundesamt tut leider alles, um biologisch abbaubare Materialien zu verhindern. Das ist ganz erstaunlich. Dadurch haben wir viel mehr Einweg-Plastik. Leichte Verpackungen und Folien sollten unbedingt biologisch abbaubar sein. Ich bin der Meinung, Lebensmittelverpackungen sollten idealerweise Einweg sein, aber eben qualitativ hochwertig. Nur bei Getränken bin ich absolut für Mehrweg.

 

Aktuell kommen in Deutschland Stoffe wie Papier, Polypropylen und Tritan zum Einsatz. Was sagen Sie dazu?

Das Tritan ist ein sehr sauberer Kunststoff. Wenn man Getränkeflaschen aus Plastik macht, dann ist Tritan vielleicht das beste Material, dass man dazu verwenden kann. Für Getränke kann das eine gute Lösung sein. Polypropylen hingegen hat erhebliche Memory-Eigenschaften. Das muss aufwendig gereinigt werden, sonst nimmt es Geschmack auf. Papier in Lebensmittel-Verpackungen ist in der Regel kein Papier, sondern eher ein Plastik mit Zellulose-Kern. Wie Tempo-Taschentücher zum Beispiel. Durch den Nassfeuchtigkeitsstabilisator bleibt so ein Taschentuch in der Umwelt, wir haben das auf 2000 Meter gemessen. 18 Jahre liegen die in der Umwelt rum, bevor sie sich auflösen. Diese Stabilisatoren haben fatale Eigenschaften. Hamburg alleine gibt im Jahr 20 Millionen extra für Rohrreinigung aus, weil diese sich in der Kanalisation nicht zersetzen.

 

Wie könnten ökologische Fortschritte tatsächlich ökonomische Realität werden?

Die Ansprüche in Deutschland sind einfach zu gering. Seit der Einführung des Grünen Punktes hat sich die Verpackungsmenge in Deutschland verdoppelt. Wir sind gemeinsam mit Irland die Verpackungs-Weltmeister - nicht die Recycling-Weltmeister. Wir sollten nicht nur Benin-Bronzen nach Nigeria zurückgeben, sondern im Umkehrschluss auch unsern exportierten Müll aus Vietnam und Kambodscha zurückholen. Da gibt es erheblichen Handlungsbedarf.

 

Fehler der Vergangenheit?

Eine verpasste Chance war der Einigungs-Vertrag 1990. Das Sero-System der DDR hätte übernommen werden sollen. Da gab es etwa 40 Materialgruppen, für die es Geld gab, wenn man die zurückbrachte. Das war kreislauftechnisch absolut überlegen, auch weil die DDR eigentlich nur einen einzigen Kunststoff im Verkehr hatte. Das war Polypropylen. Polypropylen kann etwa 30 mal recycelt werden. Von den Massenkunststoffen ist das der unproblematischste Stoff. Das könnte man heute auch erneuerbar aus Zuckerrohr, Algen oder Bakterien herstellen. Dagegen haben wir die Verpackungen eines einzigen Discounters hier getestet. Da kamen wir auf 52 verschiedene Kunststoffe - da gibt es keine Chance für Recycling. Im schlimmsten Fall haben Sie Mehrwegbecher, die nicht mal in den Gelben Sack dürfen. Die enden dann in der Müllverbrennung.

 

Wie würden Sie denn am liebsten ihr Essen to go serviert bekommen?

Wenn ich Käse auf dem Markt kaufe, dann nehme ich eine bruchsichere Glasverpackung mit. Die kann ich problemlos waschen. Aber ich möchte zunächst bescheidener sein: Ich möchte keine Verpackung, die aus PVC oder Aluminium besteht. Stattdessen am besten gut wiederverwendbare Mono-Materialien und für alles, was nicht kompostierbar ist, würde ich nur auf Polypropylen setzen.


von Redakteur Jan Paul Stich, dfv Hotel- und Gastromedien - zum Beitrag: www.food-service.de

 

 

Über foodservice

Das Fachmagazin foodservice (dfv Mediengruppe - Deutscher Fachverlag GmbH) analysiert den gesamten Markt der Profi-Gastronomie in Deutschland, Österreich und der Schweiz. Das macht es zum Medium für innovationsorientierte Unternehmer, Macher und Manager.

foodservice, 1982 gegründet, berichtet primär aus betriebswirtschaftlicher Perspektive über Schwerpunktthemen wie Management und Marketing, Marktforschung, Technik und Design. Dabei behält die Redaktion Entwicklungen und Trends in Nordamerika, Europa und Asien stets im Blick. In Hintergrundberichten, Interviews, Konzeptanalysen und Rankings wird der Markt praxisnah durchleuchtet.

Professor Michael Braungart ist ein deutscher Verfahrenstechniker und Chemiker. Er entwickelte zusammen mit William McDonough das Cradle-to-Cradle-Konzept. (Quelle: dfv Hotel- und Gastromedien)